Allgemein
Martin Koch
Wie aus einer anderen Welt kommt es mir meist vor, wenn wieder einmal der Interviewer meines Kunden ganz tief in der Personaler-Trickkiste gewühlt hat und versucht mit offensichtlichen Gemütsschwankungen, abstrusen Fragen oder kleinen Knobeleien – neudeutsch „Brainteaser“ - die Kandidatin bzw. den Kandidaten aus der Reserve zu locken.

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Darauf angesprochen erhalte ich meist die vorhersagbare Antwort, dass man mit ein wenig Stress näher an den Kern der Persönlichkeit des Kandidaten wollte. Nicht nur anerkannte Verhörspezialisten unterschiedlicher Geheimdienste werden bestätigen, dass es dazu schon etwas mehr braucht, als eine völlig aus dem Kontext gerissene Frage. In den meisten Fällen umschiffen meine Kandidatinnen und Kandidaten diese Hürde dann auch ohne Probleme.

Was will ich den eigentlich „herauskitzeln“? Neben der Erkenntnis, ob richtig und konzentriert zugehört wird, wollen wir wissen, wie flexibel, spontan und geistreich Reaktionen ausfällen können. Auch kann durch tiefes Nachbohren der Dünnbrettbohrer entlarvt werden und der gut vorbereitete Kandidat so richtig glänzen. Alles schön und gut.

Aus meiner Sicht hat Stress als Selbstzweck in einem wertschätzenden und auf gleicher Augenhöhe geführten Einstellungsinterview nichts zu suchen. Denn es geht doch einerseits darum, ob der Proband die richtigen Fertigkeiten und Methoden mitbringt und diese dann auch in komplexen Zusammenhängen einsetzen kann. Andererseits gehen wir der Frage nach, ob dieser Mensch persönlich zu uns passt? Wie er tickt? Was ihn antreibt und was wir von ihm in unterschiedlichen Situationen erwarten können.

Um das herauszufinden, setzen wir „echten Stress“ ein. Dazu zählt der spontane Business-Case, zu dem wir dann bitte nicht innerhalb weniger Minuten eine ausgefeilte strategische Lösung verlangen. Oder die spontane Präsentation, wobei eine Erhöhung des Blutdrucks auch dadurch erreicht werden kann, dass der vorbereitete Vortrag doch bitte auf Englisch und nicht wie geplant auf Deutsch erfolgen muss, da sich hoher Besuch aus dem Headquarter angesagt hat. Auch das situative Rollenspiel kann funktionieren, wenn die Situation nicht zu sehr „an den Haaren herbeigezogen“ wurde und ein vorbereiteter Counterpart zur Verfügung steht. Kurz um, nutzen Sie Dinge, die tatsächlich passieren!