Die Welt steckt in einer tiefen Krise und wird sich unwiederbringlich verändern. Nach Ansicht von Zukunftsforscher Matthias Horx lernen wir uns im nun erzwungenen Shut-Down neu kennen, finden neue Wege des Zusammenseins, setzen neue Prioritäten, begreifen die Stärke unserer sozio-ökonomischen Systeme, gewinnen neues Vertrauen in die Politik und entlarven Populismus und unsere weit verbreitete „Brot-und-Spiele“-Mentalität als etwas, dass keiner braucht.
Das wird auch an unserer Arbeitswelt nicht spurlos vorüber gehen, unaufhaltsame Entwicklungen werden entscheidend beschleunigt und neue Möglichkeiten sowie Chancen werden aufgezeigt. So werden die vielen Menschen, die im Moment aus dem Home-Office das System am Laufen halten zum Teil nur ungern in Ihre Büros zurückkehren, agile Methoden, zu denen uns das derzeitige Denken von Tag zu Tag zwingt, werden zur Selbstverständlichkeit und die sich auch schon vor Corona abzeichnende Fokussierung auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance wird nochmals zunehmen. Wir werden Meetings als die Zeitverschwendung begreifen, die sie häufig sind, viele Geschäftsreisen als Statusprivileg mit mäßiger Effizienz entlarven und die digitalen Möglichkeiten bekommen endlich den Stellenwert als Hilfsmittel, der Ihnen eigentlich auch gebührt.
In Bezug auf die Themen Beschäftigung und Recruiting werden wir starke Veränderungen sehen. Es wird Gewinner und Verlierer bei Loyalität und Arbeitgeberattraktivität geben. Die individuelle Krisenbewältigung und damit einhergehende Fokussierung auf wesentliche Aspekte erhöhen die Flexibilität der Menschen und damit die Elastizität am Arbeitsmarkt. Schließlich wird eine recht schnell um sich greifende Re-Globalisierung – Horx spricht von GloKALisierung, der Lokalisierung des Globalen – zu weltweiten Verschiebungen der heutigen Arbeitsmärkte führen.
In den nächsten Wochen werden sich die Unternehmen hervortun, die für ihre Mitarbeiter da sind, die Verantwortung übernehmen und sich damit die zukünftige Loyalität verdienen. Bereits während der Bankenkrise in 2008/2009 hat sich dabei insbesondere der deutsche Mittelstand hervorgetan, so war es den unzähligen Headhuntern danach zum großen Teil unmöglich, Mitarbeiter zum Jobwechsel zu bewegen. Dieser Trend wird sich verstärken, andere Unternehmen, die nicht können oder nicht wollen, geraten in die Loyalitätskrise. Zusätzlich zeigt sich gesellschaftliche Verantwortung auch in schnellem Reagieren, direkten Hilfen und auch Verzicht. Modeunternehmen, die in wenigen Tagen auf Schutzbekleidungsproduktion umstellen, Chemieunternehmen, die Industriealkohol günstig für die Desinfektionsmittelherstellung bereitstellen und Pharmaunternehmen, die trotz patentrechtlicher Aspekte Forschungsergebnisse rund um den Globus teilen, werden zu den wahren Helden des in den letzten Jahren zunehmend geschundenen Kapitalismus. Die Auswirkungen auf das Unternehmensimage und speziell das „Employer Branding“ können nur erahnt werden, werden aber bei den sich ebenfalls wandelnden Menschen auf offene Empfindungen treffen.
Die vielen Entbehrungen der nächsten Wochen werden uns einerseits stärker und widerstandsfähiger machen, die eigene Leistungsfähigkeit tritt hervor, Mut und Entschlossenheit werden wieder gelernt und belohnt. Andererseits führt der Verlust an Einkommen, Sicherheit und Vermögen zu Erfahrungen, die uns genügsamer machen, jedoch in Zukunft auch wählerischer machen werden. Die sich bereits in den vergangenen Jahren abzeichnenden Trends zu New Work, Agilität und mehr Freiheiten in Bezug auf Zeit, Ort und Organisation werden sich dadurch verstärken, weil der Mensch auch als Arbeitgeber autarker wird, den Mut gewinnt, öfter mal etwas ganz Neues zu probieren. Außerdem werden wir aus der Erfahrung, auch mit weniger klar zu kommen, lernen. Damit wird sich der Trend weg vom klassischen Beschäftigungsverhältnis hin zu mehr Projektarbeit und Selbstständigkeit verstärken. Auch die Abkehr von der Fahrstuhlkarriere mit stetig steigenden Fokuserfahrungen im klassischen „Hamsterrad“ wird zunehmend neuen Erfahrungen, Seiteneinstiegen, Sabbaticals und bewussten Lebensbrüchen Platz machen.
Während wir in der Krise die Erfahrung machen, das globale Zusammenarbeit, Menschlichkeit und Zusammenhalt genauso funktionieren, wie weltumspannende Kommunikation, haben uns die globalen Handels- und Logistikstrukturen recht schnell ihre Grenzen aufgezeigt. Dies wird zu einem Umdenken und zu einer teilweisen Abkehr von globalisierten Produktionsketten und fokussierten Volkswirtschaften innerhalb einer globalen Weltwirtschaft führen. Damit werden wir weltweit eine Re-Globalisierung erleben. Investitionen zum Aufbau der neuen, lokalen Produktionskapazitäten führen zu einer kurzfristigen Sonderkonjunktur, die lokalen Arbeitsmärkte werden sich langfristig durch mehr Vielfalt, vergessene Erfahrungen und neue Berufsbilder auszeichnen. Andererseits wird es zu einer Ausweitung der weltweiten Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung & Entwicklung kommen, krisenerprobte Partner werden auch danach gerne und gut zusammenarbeiten und neue Formen der globalen aber zunehmend digitalen Kooperation werden sich noch schneller durchsetzen.