Der Begriff Digitalisierung bezeichnet das Umwandeln von analog vorliegender Information in digitale Datenformate. Digitalisierte Information kann verlustfrei auf vielfältige Weise weiterverarbeitet werden. Analoge Information besteht aus kontinuierlichen Datenströmen. Digitale Daten hingegen kennen nur zwei Zustände, nämlich „Null“ und „Eins“.
Die Frage die sich aufdrängt: Wollen wir wirklich unser gesamtes Leben auf Nullen und Einsen reduzieren? Es erscheint plausibel, dass nicht alles, was digitalisierbar ist, durch Digitalisierung verbessert werden kann. Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater spricht daher von digitalisierungsfähigen und digitalisierungspflichtigen Aspekten. Thorsten Dierks, CEO der Telefonica, hat dies recht drastisch so beschrieben: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess!“ Wenn Sie Freunde zum Abendessen einladen und dazu sämtliche zur Verfügung stehenden digitalen Planungsinstrumente einsetzen, wird der Abend dennoch nicht gelingen, wenn Sie die falschen Freunde einladen – egal ob analog oder digital.
Über „Digital Recruiting“ sollte man also nachdenken. Ein Rundgang über die letztjährige Messe „Zukunft Personal“ in Köln hinterließ den Eindruck, dass Recruiting in Zukunft ausschließlich digital – also IT-gestützt und im Netz – stattfinden wird. Recruiting lässt sich untergliedern in die Teilprozesse „Suchen und Finden“, „Bewerten und Auswählen“ sowie „Aufnehmen und Integrieren“. Lassen Sie uns betrachten, welchen Einfluss die Digitalisierung auf den Recruiting-Prozess nimmt.
Suchen und finden
Bewerten und auswerten
Suchen und finden
Die Arbeitsmärkte sind im Wandel. Bei zunehmender Vollbeschäftigung herrscht Mangel an Fachkräften. Hinzu kommt die abnehmende Mobilitätsbereitschaft von Arbeitskräften. Wir erleben mitunter eine Umkehrung der Rollen: Der „Arbeitssuchende“ wird zum Anbieter begehrter Arbeitskraft, das Unternehmen findet sich wieder in der Rolle des Kandidaten. Dies stellt das Recruiting vor neue Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund verändert die Digitalisierung die Art, wie wir kommunizieren. Informationsfluss erfolgt schneller und transparenter; Informationen sind jederzeit global verfügbar und die Arbeitsmärkte werden zu transparenten Punktmärkten. Für das „Suchen und Finden“ der richtigen zukünftigen Mitarbeiter werden daher in Zukunft drei Aspekte entscheidend sein, bei denen die Digitalisierung modifizierenden Einfluss hat und neue Verfahren ermöglicht.
Zum einen können die Unternehmen die Kriterien für Kandidaten differenzierter bestimmen. Sie sind in der Lage, Zielgruppen jobabhängig genauer zu selektieren und ihr Kommunikationsverhalten in Bezug auf Formate, Inhalte und Kanäle zu schärfen. Azubis und Absolventen können per Twitter und Instagram zielsicher erreicht werden, die Kommunikation per WhatsApp ist auch für berufliche Belange absolut legitim. Führungskräfte 40+ werden über die Website, Jobportale wie XING, LinkedIn & Co. erreicht oder sogar noch klassisch beworben – wobei E-Mail und Telefon die Kommunikationsmittel der Wahl sind. WhatsApp hat in dieser Gruppe den Sprung in das beruflich-professionelle Umfeld meist noch nicht geschafft. Dass für die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen spezielle Teams mit differenzierten Denk- und Herangehensweisen verantwortlich sein sollten, erscheint folgerichtig. Auch eine Anpassung der Reaktionszeiten ist erforderlich. Eine Mail muss innerhalb weniger Stunden, eine WhatsApp-Nachricht bereits nach Minuten beantwortet sein.
Zum anderen stellen sich Unternehmen der zunehmenden Transparenz und Vergleichbarkeit und sind bestrebt, als Arbeitgebermarke aufzutreten. Das „Employer Branding“ ist das wahrgenommenes Bild des Unternehmens und damit ein Versprechen in Bezug auf das Verhalten als Arbeitgeber. Dieses Marken-Image entzieht sich immer mehr der bewussten Gestaltung – es bildet sich zunehmend aus sämtlichen global zugänglichen Informationen und kollektiven Erfahrungen. Spätestens seit der Verfilmung der Facebookgeschichte „The Social Network“ wissen wir, dass im Internet mit Tinte und nicht mit Bleistift geschrieben wird. Die Anonymität des Netzes bewirkt eine Überrepräsentanz negativer Posts. Positives wird als selbstverständlich und damit als nicht erwähnenswert eingestuft. Nicht zuletzt lauert überall die Gefahr, dass sogenannte „Trolle“ mit bewusst unwahren Inhalten (Fake News) Meinungen gezielt manipulieren.
Zu guter Letzt müssen Unternehmen auffindbar sein. Jobs werden immer mehr gefunden statt gesucht. In der digitalen Welt rückt das „Active Sourcing“, d.h. die gezielte, Social-Media-gestützte Ansprache ins Rampenlicht. Die marktführenden Social-Media-Kanäle mit beruflichem Bezug stellen spezielle Angebote für Unternehmen, Jobagenturen und Personalberater bereit. Aktiviert werden damit nicht nur Jobsuchende, sondern auch alle latent Wechselwilligen. Dabei tritt das „Wen spreche ich an?“ deutlich in den Hintergrund des „Wie spreche ich an?“ Kandidaten erwarten heute eine qualifizierte Ansprache. Bei den 30+ darf diese durchaus noch per Telefon erfolgen, Massennachrichten und ungefragtes „Kontakten“ werden jedoch als belästigend empfunden.
Bewerten und auswerten
Ohne auf den gesamten Prozess einzugehen, betrachten wir exemplarisch vier Aspekte, bei denen die Digitalisierung das Bewerten und Auswählen von Kandidaten unterstützt.
Kandidaten bzw. deren „Bewerbungsunterlagen“ können mit Hilfe IT-gestützter Systeme besser erfasst, sortiert, betreut, dokumentiert und verwaltet werden. Damit wird die Voraussetzung für eine durchgängig positive „Candidate Experience“ geschaffen. Digitale Erfassungssysteme halten zu Sorgfalt, Vollständigkeit und Schnelligkeit an. Die wachsende Qualität dieser Systeme ermöglicht die zunehmende Individualisierung der automatisierten Verarbeitung. Darauf aufbauend kann eine gefilterte Vorauswahl anhand harter, erfassbarer Kriterien vorgenommen werden – insbesondere dort, wo größere Mengen an CVs „durchforstet“ werden müssen. Die Gefahr, einen guten Kandidaten mit einem eher unkonventionellen Lebenslauf zu übersehen, wird dabei in Kauf genommen.
So wie sich ein Kandidat im Netz vielfältig über potenzielle Arbeitgeber informieren kann, können umgekehrt auch Unternehmen anhand des digitalen footprints die Vergangenheit eines Kandidaten erforschen. Zunehmend werden auch bild- und tonerkennende Systeme diskutiert, die den Bewertungsprozess objektiver machen sollen. Dabei werden über Mimik und Gestik (Bild) sowie Wortwahl und Sprachmelodie (Ton) im Rahmen eines z. T. sogar robotergestützten Gesprächs Schlussfolgerungen über Persönlichkeit, Einstellung, Befindlichkeit und die Kompetenz eines Kandidaten gezogen. Diese Systeme agieren zwar gefühlsneutral, sie werden nicht diskriminieren. Dennoch kommen Algorithmen zum Einsatz, die ein Mensch programmiert hat. Dies führt nicht zur angestrebten Objektivierung, sondern zu systembedingten Verzerrungen.
Aufnehmen und integrieren
Ist der richtige Kandidat gefunden, bewertet und zur Mitarbeit motiviert worden,
gilt es, die positive „Candidate Experience“ in eine positive „Employer Experience“ zu überführen.
Entlang der drei Phasen Pre-Onboarding, Onboarding und Integration können digitale Instrumente unterstützen, organisieren und lenken. Bereits während des Pre-Onboarding, d.h. ab Unterzeichnung des Arbeitsvertrags, sollte dem Mitarbeiter ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt werden. Durch IT-gestützte Verfahren besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, kommunikative Maßnahmen und Betreuung zu initiieren.
Newsletter, Blogs, Zugang zu speziellen Intranetseiten, Geburtstagswünsche – die Liste möglicher Kontaktpunkte ließe sich beliebig erweitern. Auf diese Weise leitet man frühzeitig ein erfolgreiches Ankommen in die Wege und beugt kognitiven Dissonanzen vor, die nicht selten zu einer Revidierung der Jobentscheidung noch vor dem 1. Arbeitstag führen.
Auch die Durchführung des Onboarding, also der ersten Tage im Unternehmen, lässt sich IT-gestützt bewerkstelligen. Als Beispiele sind an dieser Stelle die Beschaffung der personalisierten Geschäftsausstattung über ein Print-on-Demand-System und die Integration des neuen Mitarbeiters durch die Unternehmens-IT zu nennen. Auch die Planung der ersten Tage durch automatisches Einstellen von Terminen bei allen relevanten Ansprechpartnern ist anzuführen.
Im Verlauf der Integration gibt es weitere Ansatzpunkte für eine systemgesteuerte Betreuung, Unterstützung und Evaluation. Durch regelmäßige Befragungen kann ein Stimmungsverlauf erhoben werden, der als Frühwarnsystem Integrationsdefizite aufdeckt. Einarbeitung sowie Schulung können abteilungsübergreifend geplant werden. Förderlich für eine erfolgreiche Integration ist sicher auch die Vorstellung der „Neuen“ im Intranet oder die Schaffung von Chatrooms mit „alten Hasen“ sowie die Bereitstellung eines „Schwarzen Bretts“ für Diskussionen der Neuen untereinander. Auch ein Mentorensystem lässt sich online oder per WhatsApp realisieren.
Abschließend kann festgestellt werden, dass digitale Dienste ein direkteres, effizienteres, zum Teil weniger intuitives, dafür aber methodisch betriebenes Recruiting ermöglichen. Insbesondere die ersten Phasen des Recruiting-Prozesses werden durch digitale Kommunikation erleichtert. Wenn es darum geht, den neuen Mitarbeiter aus einer größeren Kandidatengruppe zu extrahieren, erweisen sich digitale Tools als effiziente Organisationsmittel. Zu guter Letzt entscheiden Menschen, ob sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Dies geschieht nach wie vor im analogen Modus, geprägt durch das gute alte Bauchgefühl. Gut, dass es so ist!